Vorgeschichte, Durchführung und Auswirkungen der Namensänderungskampagne 1984 – 1989 gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien von Vassil Vassilev
Rezensiert für Forschungseinrichtung für Mezalim (FEM) von Ilker Akgül
Das Buch beschäftigt sich mit der „Vorgeschichte, Durchführung und Auswirkungen der Namensänderungskampagne 1984 – 1989 gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien“. Damit liefert der Autor eine wichtige Gesamtdarstellung der nationalistischen Assimilationspolitik der Volksrepublik Bulgarien. Während der erste Abschnitt die Geschichte der Unabhängigkeitswerdung bis in die 80er-ahre beschreibt, widmet er sich im zweiten Abschnitt der kulturellen Vernichtung durch die Namensänderungskampagne.
Vassilev beschreibt zu Beginn die Entstehung des bulgarischen Nationalismus bis zur Gründung des bulgarischen Staates, dem im Zuge der russischen Expansion in den „warmen Süden“ die tatkräftige Unterstützung des Zarenreichs zuteilwurde. Dabei wird sowohl die Flucht und Vertreibung der Türken als auch die Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung der Bulgaren beschrieben. „Das vorurteilsbelastete, schablonenhafte Bild vom Türken wird im bulgarischen Gedächtnis beinahe mythisiert und lebt auch heute noch als Schreckgespenst innerhalb der eigenen Identitätswahrnehmung weiter – wird sozusagen selbst identitätsstiftend.“ (S. 27) Demnach entstand ein mythologisierter Feind, “der ethnisch und religiös definiert und somit ganz konkret bezeichnet werden konnte.“ (S. 28)
Der kurzen und knappen Darstellung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1944 folgt eine prägnante Beschreibung bis zur Assimilationspolitik in den 80ern.
Der differenzierten Politik des bulgarischen Staates zwischen liberalen Nationalismus und
„gewalttätiger Übergriffe“ (S.23) führte zur Vertreibung hunderttausender türkischer Muslime. Dabei wurde die Flucht in zeitlich begrenzten Zeiträumen durch Auswanderungsabkommen mit der Republik Türkei erleichtert.
Die erste ideologische Wende fand im Zuge der 50er-Jahre statt. Dabei sollte die türkische Sprache durch eine Veränderung der Bildungspolitik zurückgedrängt und der Einfluss des Islams in der Gesellschaft geschwächt werden. Es wurde eine aktive Politik gegen die Art der Bekleidung als auch „die Ersetzung aller religiösen Rituale im Lande durch ein einheitliches sozialistischen Ritensystem“ (S.46) umgesetzt.
Die Politik zur Konstruktion einer einheitlichen sozialistischen Nation wurde Mitte der 70er-Jahre durch eine Namensänderungskampagne gegen die muslimische pomakische Minderheit weiter vorangetrieben.
Im zweiten Kapitel beginnt er mit den Rahmenbedingungen, die zur Assimilationspolitik führten. Dabei spielte innenpolitisch die Rückbesinnung auf eine „glorreiche bulgarische Nation“, sowie außenpolitisch die Zypernproblematik eine wichtige Rolle. In diese Zeit fällt die Konstruktion der „wissenschaftlichen Grundlage“ (S.43) als Mittel zur zukünftigen Türkenpolitik. Bulgarien verstand sich fortan als „Ein-Nationen Staat“ (S.43) und Türken wurden „als Bestandteil der eigenen Volksgruppe, die durch äusseren Druck und Selbsttäuschung den Anschluss verloren hätten (sie hätten durch Islamisierung einen anderen Glauben angenommen und ihre Sprache vergessen) und nun in ihre eigentliche Ethnie zurückgeführt werden müssten“ betrachtet.(S.27)
Nach der Beschreibung der Beschlussfassung befasst er sich mit der Durchführung und den Folgen der Assimilationskampagne. Als die Volksrepublik am 24. Dezember 1984 die
Namensänderungskampagne mit Gewalt durchsetzt entfacht es auch Widerstand bei den Türken. Die Assimilationsbestrebungen wurden als freiwilliger Wunsch der bulgarischen Türken getarnt, wobei die Weigerung der Annahme eines christlich-bulgarischen Namens zwangsläufig zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz führen konnte.
Vassilev stellt die differenzierten Widerstandsaktionen der türkischen Minderheit und die Reaktion der türkischen Presse, der Republik Türkei und des OIC (Organisation of the Islamic Conference) dar. Gleichzeitig befasst er sich mit der Rechtfertigungs- und Verschleierungstaktik Bulgariens und der Reaktion der bulgarischen Presse. 1989 führte der Massenexodus von mind. 300.000 bulgarischen Türken nicht nur zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen, sondern veränderte die demographische Struktur sowohl der Türkei als auch in Bulgarien.
Die Interpretation der Ereignisse als „kulturellen Genozid“ (S.95) betrachte ich kritisch, da der Begriff „Genozid/Völkermord“ meiner Ansicht nach inflationär gebraucht wird. Der Terminus „Zerstörung/Vernichtung“ wäre eher angebracht. Obwohl die Archive noch nicht vollständig zugänglich sind, ist es dem Autor gelungen eine beindruckende Gesamtdarstellung vorzulegen. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Mezalim Geschichte der Türken auf dem Balkan, die von Vertreibung, ethnischer Säuberung, Flucht und Massenmord geprägt wurde.
Titel Nationalismus unterm Roten Stern
Vorgeschichte, Durchführung und Auswirkungen der Namensänderungskampagne 1984 – 1989 gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien
ISBN 978-3825812966
Erscheinungsdatum 01.10.2008
Umfang 160 Seiten
Preis 19,90 €
Genre Bulgarien, Balkan, Türkei,
Format Buch
Verlag LIT